Der 6-Stunden-Tag: Die perfekte Work-Life-Balance?
6- und 5-Stunden-Tag in der Praxis – Schweden und Deutschland
Das Schulsystem wird gelobt und die Lebensqualität ist hoch – kein Wunder, dass die aktuell bekanntesten Projekte zum 6-Stunden-Tag in Schweden durchgeführt wurden. Doch nicht nur die Schweden üben sich in Arbeitszeitverkürzung, auch in Deutschland testet eine Agentur den frühen Feierabend. Stellt sich die Frage: Wie erfolgreich sind die Projekte und was können wir als 8-Stunden-Arbeiter über die Vor- und Nachteile der 6-Stunden-Tage lernen?
Schweden
Bullerbü und soziale Gerechtigkeit – die Stereotype über Schweden lassen es verwunderlich erscheinen, dass auch im Norden immer noch acht Stunden pro Tag gearbeitet wird. Vier Stunden bei vollem Lohnausgleich erscheinen da viel schwedischer. Doch geringe Arbeitszeiten sind auch in Schweden weiterhin eine Utopie, bis auf einige bekannte Ausnahmen:
- Das Sahlgrenska-Krankenhaus in Mölndal
- Das Svartedalen-Heim in Göteborg
- Das Toyota-Werk in Göteborg
Das Sahlgrenska-Krankenhaus in Mölndal
2015 startete in einigen schwedischen Städten der Versuch, im Sozial- und Gesundheitssektor den 6-Stunden-Tag einzuführen, bei gleichem Lohn. Denn besonders im Pflege- und Gesundheitsbereich sind die Arbeitnehmer stark belastet, werden oft krank und wechseln häufig den Arbeitsplatz, so eine der Begründungen für das Projekt. Ein weiterer Grund: 2014 musste im Sahlgrenska-Uni-Krankenhaus ein Operationssaal der Orthopädie schließen, da es an Personal mangelte. Das Krankenhaus nahm neben einem Altenheim und ein paar Start-Ups an dem 6-Stunden-Projekt teil. Ziel war es, das Krankenhaus als Arbeitnehmer wieder interessanter zu machen und die Behandlung zu verbessern.
Das Ergebnis: Statt zu geschlossenen Operationssälen führte der 6-Stunden-Tag dazu, dass die Orthopäden ihre Operationen um ein Fünftel steigern konnten. Es wurde mehr Personal eingestellt und die Wirtschaftlichkeit der Klinik konnte sich verbessern. Auch die Arbeitnehmer profitierten: weniger Krankmeldungen und größere Zufriedenheit. Doch einen Haken hatte das Projekt: anfänglich höhere Kosten durch mehr Einstellungen und gleichbleibenden Lohn.
Das Svartedalen-Heim in Göteborg
Am 6-Stunden-Projekt nahm auch das Svartedalen-Altersheim in Göteborg teil. Eine Gruppe von Pflegeassistenten sollte zwei Jahre lang nur noch sechs Stunden pro Tag arbeiten und das bei vollem Lohnausgleich. Ziel war es, den Krankenstand zu verringern und die Zufriedenheit der Arbeitnehmer zu verbessern.
Das Ergebnis: zufriedenere Mitarbeiter, aber zu hohe Kosten. Zwar würden sich die Mitarbeiter fitter und ausgeruhter fühlen und sich so laut Bengt Lorentzon, der das Projekt für Göteborg auswertet, auch mehr Zeit für die Heimbewohner nehmen, doch die Kosten, mit rund einer Million Euro für die ersten 18 Testmonate, seien zu hoch. Der Krankenstand sei zudem nur minimal gefallen. Aus diesem Grund wurde das Projekt 2017 beendet und nicht weiter verlängert.
Das Toyota-Werk in Göteborg
Das Toyota-Werk in Göteborg ist der schwedische Urvater des 6-Stunden-Tags und kam dabei ganz ohne große Projekt-Ankündigungen und internationale Berichterstattung aus. Das Werk führte schon 2004 die verkürzte Arbeitszeit samt Lohnausgleich ein und setzt auch heute noch auf den 6-Stunden-Tag.
Das Ergebnis: Das Werk konnte feststellen, dass die Arbeitnehmer in sechs Stunden genauso produktiv waren wie in acht. Außerdem konnte der Umsatz gesteigert werden. Die positive Bilanz sorgte dafür, dass das Toyota-Werk nun schon seit 14 Jahren auf den 6-Stunden-Tag setzt.
Deutschland: Rheingans Digital Enabler
Nicht nur in Schweden wird mit der verkürzten Arbeitszeit experimentiert, auch in Deutschland findet sich ein populäres Beispiel. In Bielefeld probt die IT-Agentur „Rheingans Digital Enabler“ seit Oktober 2017 die 25-Stunden-Woche. Statt von neun bis 17 Uhr wird nur noch von acht bis 13 Uhr gearbeitet – bei gleichbleibendem Gehalt und Urlaubsanspruch, aber ohne Home Office oder Überstunden.
Das Ergebnis: Keine ausschweifenden Meetings mehr, durchstrukturierte Tage und keine Zeit zum Prokrastinieren – damit die 5-Stunden-Tage effektiv genutzt werden, musste die Agentur erst einmal ordentlich an den Arbeitsprozessen schrauben. Doch wie eine Mitarbeiterin auf bento berichtet, scheint das Experiment zu funktionieren: mehr Produktivität in kürzerer Zeit, mehr Freizeit und sogar die Kunden stört es nicht, wenn Mitarbeiter nur vormittags erreichbar sind. Im Februar 2018 wurde die Probezeit verlängert, mit dem Ziel den 5-Stunden-Tag als Forschungsprojekt weiterzuführen.
Der 6-Stunden-Tag: Vorteile und Nachteile
Wie die Beispiele aus Schweden und Deutschland zeigen, bietet der 6-Stunden-Tag einige Vorteile, aber auch Nachteile.
Vorteile
Fröhliche Mitarbeiter, kaum krankheitsbedingte Fehlzeiten und steigende Produktivität: Schauen wir uns die Vorteile des verkürzten Arbeitstags einmal genauer an.
Gesundheit
Arbeit ist keine Entspannung, egal ob im Büro beim „Sitzen ist das neue Rauchen“ oder bei körperlich anstrengend Jobs. Pünktlich zum Feierabend zwickt gerne mal der Rücken, der Kopf dröhnt und wir fühlen uns einfach ausgelaugt. Dagegen können einfache Übungen zum fit halten, die richtige Ergonomie am Arbeitsplatz und Tipps zum Stressabbau helfen. Doch für Vertreter der Arbeitszeitverkürzung sind das nur Notlösungen.
Denn wie auch die vorgestellten Projekte zeigen, haben Arbeitnehmer bei einem 6-Stunden-Tag mehr Zeit für die Freizeitgestaltung. Sie können sich so besser regenerieren, Hobbys nachgehen, Sport treiben oder soziale Kontakte pflegen. Besonders in Berufen, die physisch und psychisch sehr anstrengend sind, wie der Pflege, kann eine verkürzte Arbeitszeit gesundheitlich entlasten.
Arbeitgeber, die den 6-Stunden-Tag anbieten, könnten so Berufe, die normalerweise sehr zeitintensiv und belastend sind, für Arbeitnehmer wieder interessanter machen. Das ist besonders dann wichtig, wenn das nötige Personal fehlt, wie auch im Sahlgrenska-Krankenhaus in Schweden.
Familie und Arbeit
Kinder, Partner, Eltern – die Familie ist ein zweiter Vollzeitjob, trotzdem bleibt nach der Arbeit kaum Zeit, um sich zu kümmern. Haben Arbeitnehmer Kinder, wird deshalb öfter in Teilzeit gearbeitet. Das betrifft überproportional häufig Frauen. Das Problem: weniger Lohn und sinkende Karrierechancen. Hier kann der 6-Stunden-Tag bei gleichem Lohn helfen. Eine Vereinbarkeit von Familie und Karriere wird so erleichtert.
Leistungsfähigkeit steigern
Hier 15 Minuten an der Kaffeemaschine, da 10 Minuten auf Facebook surfen und das fünfmal pro Tag: schnell verschwenden wir Zeit im Arbeitsalltag, jedenfalls die Büro-Arbeiter unter uns. Eine verkürzte Arbeitszeit bietet deshalb einen ganz klaren Vorteil: weniger Zeit zum Prokrastinieren. Damit das Arbeitspensum geschafft wird, muss wirklich konzentriert gearbeitet werden. Dass es funktionieren kann, zeigt auch das Beispiel von „Rheingans Digital Enabler“. Trotz oder gerade wegen fünf Stunden pro Tag, dem Wegfall von Pausen und Musikhören scheint die Produktivität sogar zu steigen.
Nachteile
Sechs Stunden arbeiten pro Tag und Arbeitnehmer sowie Arbeitgeber kommen aus dem Jubeln gar nicht mehr heraus? So einfach ist es dann doch nicht, denn die Arbeitszeitverkürzung birgt auch einige Nachteile.
Höhere Kosten oder weniger Gehalt
Das Pendant zum 6-Stunden-Tag, die 4-Tage-Woche, wird auch in Deutschland immer beliebter. Doch die Option 32 Stunden pro Woche arbeiten und weiterhin für 40 Stunden bezahlt werden, gibt es noch eher selten. Wie klassischerweise bei Teilzeit nimmt mit der Stundenzahl auch der Lohn ab. Das müssen Arbeitnehmer finanziell verkraften können.
Bleibt der Lohn jedoch gleich, kann es für die Arbeitgeber eng werden. Die gestiegenen Kosten waren auch der Hauptgrund um das 6-Stunden-Projekt im Svartedalen-Heim in Göteborg nicht zu verlängern. Doch es fehlen auch hier noch weiterführende Studien, wie sich die Kosten in verschiedene Branchen auswirken und ob das Sozialsystem durch die eventuell sinkenden Gesundheitskosten langfristig profitieren würde.
So ergab eine Stressstudie der Universität Stockholm, dass die Umstellung auf einen 6-Stunden-Tag zwar erst einmal höhere Kosten verursacht, der Arbeitgeber jedoch langfristig finanziell profitiert. Denn nicht so stark gestresste Arbeitnehmer würden weniger Fehler machen und für weniger Schäden sorgen.
Stressfalle Auslastung und Multitasking
Lange Arbeitszeiten gleich viel Stress, kurze Arbeitszeiten gleich viel Entspannung? Zwar bieten kürzere Arbeitszeiten den Vorteil, dass Arbeitnehmer mehr Freizeit haben, doch bei einem 6-Stunden-Tag muss dafür auch fokussierter gearbeitet werden. Probleme können dann auftreten, wenn die Aufgaben nicht an die verringerte Arbeitszeit angepasst werden und Strukturen nicht umgestellt werden. Denn ob sechs Stunden Multitasking ohne Pause oder acht Stunden: wenn die Belastung zu hoch ist, kann auch eine verringerte Arbeitszeit nicht vor Burnout und Co. schützen.
Es kommt auf die Branche an
Im Krankenhaus, auf dem Bau oder im Büro einer Marketing-Agentur: Ob der 6-Stunden-Tag eingeführt werden kann, hängt auch von der Branche ab. Bei Jobs in der Gesundheitsbranche müssten zum Beispiel mehr Arbeitnehmer eingestellt werden, um die Schichten abzudecken. Bei Jobs mit Kundenkontakt müsste abgeklärt werden, ob die verringerte Arbeitszeit überhaupt machbar ist. Die Umsetzbarkeit des 6-Stunden-Tags richtet sich also stark nach dem Jobprofil.
Arbeitszeiten in Deutschland – so viel wird am Tag gearbeitet
Der 6-Stunden-Tag ist Zukunftsmusik? Aber wie sieht es denn mit der aktuellen Arbeitszeit der Deutschen aus? Hier ein paar Fakten:
Der 8-Stunden-Tag wurde 1918 im Zuge der Industrialisierung in Deutschland eingeführt und gesetzlich vorgeschrieben.
Eine Studie von 2016/2017 zeigt: der Trend geht zu mehr Teilzeit, Vollzeit nimmt dafür ab.
Wer Vollzeit arbeitet, arbeitet im Durchschnitt 38,1 Stunden/Woche.
Wer Teilzeit arbeitet, arbeitet im Durchschnitt 16,4 Stunden/Woche.
Die Überstunden haben seit 1995 abgenommen: Im Jahresdurchschnitt leistete ein Arbeitnehmer 2017 24,2 unbezahlte Überstunden und 20,9 bezahlte Überstunden.
Ausblick in die Zukunft: Themen wie die Digitalisierung und die Vereinbarkeit von Familie und Arbeit werden wichtiger. Der Wunsch nach alternativen Arbeitszeitmodellen wird wachsen.
Eignet sich der 6-Stunden-Tag für mich?
Auch, wenn Du nicht in Schweden leben solltest und Dein Chef nicht allen Mitarbeitern einen 6-Stunden-Tag verordnet, kannst Du dennoch eine Verringerung der Arbeitszeit ansprechen und fragen, ob es möglich ist. Dabei solltest Du jedoch erst einmal abklären, ob ein 6-Stunden-Tag überhaupt passend für Dich sein könnte.
Ich und der 6-Stunden-Tag: passt das?
Folgende Fragen solltest Du Dir und Deinem Chef vor einem möglichen Antrag auf Arbeitszeitverkürzung stellen:
- Muss ich in meinem Job acht Stunden am Tag erreichbar sein?
- Kann ich mit weniger Gehalt auskommen?
- Ist es möglich, dass meine Ziele und Aufgaben an die reduzierte Zeit angepasst werden?
Du möchtest Dich noch weiter über alternative Arbeitszeitmodelle informieren? Dann lies auch unsere Artikel zur 4-Tage-Woche, zu flexiblen Arbeitszeiten und zu den Digitalen Nomaden. Sollte es Zeit für einen neuen Job mit 6-Stunden-Tag sein, dann schau auf unserer Jobbörse vorbei.
6 wichtige Punkte, die Du bei einem 6-Stunden-Tag klären musst
Der 6-Stunden-Tag kommt für Dich in Frage? Dann solltest Du noch einige Punkte klären:
- Bezahlung: Wird mein Lohn gekürzt?
- Pausen: Muss ich Pausen einhalten?
- Kernarbeitszeit: Gilt eine Kernarbeitszeit oder bin ich flexibel mit der Einteilung meiner sechs Stunden?
- Überstunden: Wie werden Überstunden verrechnet?
- Testphase: Vereinbarung einer Testphase mit der Option, wieder auf acht Stunden zu wechseln
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