Zerrissene Arbeitswelt: produktiv isoliert im Corona-Homeoffice
Mit den Corona-Einschränkungen jährt sich auch der heimliche Krisen-Star Homeoffice. Wie war das? Ja, Du hast richtig gelesen: Star.
Vor noch einem halben Jahr war die Stimmung unter den ArbeitnehmerInnen im Homeoffice geradezu euphorisch. Veränderungen mussten her, die Menschen sprühten nur so vor Innovationsgeist und Tatendrang im Vergleich zum Beginn der Corona-Krise.
Aktuell sieht die (Arbeits-)Welt weniger rosig aus.
Das zeigen zumindest die Ergebnisse unserer aktuellen Befragung, welche gleichzeitig die letzte in der Reihe unserer repräsentativen Verlaufsstudie „Arbeiten in Corona-Zeiten“ markiert. So wie die Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie ein Auf und Ab erleben seit gut einem Jahr, so schwankt auch die Stimmung der ArbeitnehmerInnen.
Work Work Work: das Motto im Homeoffice
Viele von uns verbringen ihren Arbeitsalltag seit einem Jahr fast durchgängig in den eigenen vier Wänden. Anfangs dachten wir noch, es sei eine Übergangsphase. Lieber nicht daran gewöhnen. So schnell wie es da war, das Homeoffice, so schnell kann es auch wieder weg sein. Denkste! Noch immer verbringen wir viel Zeit am heimischen Schreibtisch. Denn die Pandemie dauert an.
Doch hat es uns arbeitstechnisch geschadet bis hierhin?
Unserer Produktivität jedenfalls nicht. Über alle drei Befragungszeitpunkte der AVANTGARDE Experts-Verlaufsstudie hinweg, arbeiten die deutschen ArbeitnehmerInnen produktiver, schneller und konzentrierter. Sogar kreative Höhenflüge verlieren im Homeoffice nicht an Fahrt.
No Stress, no mess
Apropos Fahrt. Die sparen wir uns auch mehr oder weniger seit einem Jahr. Für die meisten unter uns ist das ein wahrer Segen. Endlich nicht mehr genervt, verschwitzt und abgehetzt ins Büro stolpern. Endlich nicht mehr abhängig sein von den öffentlichen Verkehrsmitteln, die einem manchmal – trotz ihrer absoluten Daseinsberechtigung – echt den letzten Nerv rauben können. Auch in unserer Studie kristallisieren sich die wegfallenden Arbeitswege im Zuge der Heimarbeit quasi als Dauerhighlight heraus. Den einzigen Stress, den wir in der Arbeitswelt des Homeoffice noch haben ist der, den PC pünktlich hochzufahren und nicht, die U- oder S-Bahn im Eilschritt zu erreichen.
Isolierte Arbeitswelt
Alles schön und gut. Rein arbeitstechnisch geht’s uns ja ganz gut zu Hause. Kein Stress, keine Hektik. Das mit der Kinderbetreuung hat sich auch eingependelt und überhaupt schaffen wir ja so viel mehr am heimischen Schreibtisch. Man könnte sagen wir sind eingegroovt. Fast schon zu sehr. Ohne die mehr oder weniger nervigen KollegInnen am Arbeitsplatz kriegen wir so einiges zwar fixer gebacken, wandern stimmungsmäßig jedoch immer weiter einem Tiefpunkt entgegen. Die Sehnsucht nach unbefangener Tratscherei mit KollegInnen im Büro, die soziale Isolation, macht vielen auch nach einem Jahr Corona sehr zu schaffen.
Denn:
Seit Beginn unserer Studie ist die negative Stimmung unter den ArbeitnehmerInnen deutlich gesunken und auch ein immer stärker werdendes Gefühl von Einsamkeit macht sich breit. Dass unter den Befragten vor allem Zweisamkeit zur Einsamkeit führt, ist doch erstaunlich. Nicht die Möglichkeit zu haben, spontan Freunde – Menschen außerhalb des eigenen Haushalts – zu treffen, sondern immer dem/r Partner/in „ausgesetzt“ zu sein, drückt scheinbar bei vielen auf’s Gemüt.
Staying alive: Corona und Unternehmen
Unbehaglich wird es vielen ArbeitnehmerInnen auch, wenn sie an ihr Unternehmen denken. Noch vor einem halben Jahr versprühten viele einen regelrechten Innovationsgeist und erwarteten auch von ihren ArbeitgeberInnen, neue Wege zu gehen. Die Devise lautete: Zupacken, nicht labern! Aufgrund der in vielen Wirtschaftsbereichen angespannten Situation, könnte die Devise noch genauso lauten, jedoch etwas kleinlauter und mit weniger Innovationsgeist hinterlegt. Denn an die Stelle der Innovation ist der simple Wunsch nach Überleben gerückt. Ob mit oder ohne Innovation, die ArbeitnehmerInnen wollen einfach nur, dass ihr/e Arbeitgeber/in sich über Wasser halten kann und damit auch ihre Wenigkeit. Sieht so aus, als wäre nach einem Jahr Corona eine Art Ernüchterung eingetreten. Die Nerven liegen blank, zunehmende Einsamkeit und fehlende Sicherheit geben ihr Übriges für einen lethargischen Gefühls-Cocktail.
All and nothing: innere Zerrissenheit im Homeoffice
Produktiv aber einsam. Schneller aber schlecht drauf. Nach einem Jahr Pandemie und damit einem Jahr Homeoffice scheinen die Menschen innerlich zerrissen: Bin ich Homeoffice-Hater oder Homeoffice-Lover oder womöglich beides? Erstaunlicherweise sind die ArbeitnehmerInnen am stärksten zufrieden, die wieder jeden Tag im Büro sind. Direkt danach an zweiter Stelle kommen diejenigen, die tagtäglich in den eigenen vier Wänden arbeiten. Aber was wollen die ArbeitnehmerInnen denn nun? Ändern wollen sie nichts – zumindest nichts Bahnbrechendes. Soviel steht fest. Denn die Wellenbewegung der Stimmungslage spiegelt sich in ähnlicher Form im Veränderungswillen vieler Menschen wieder. Wie die Politik, so stehen auch die Menschen aktuell in einer Art Sackgasse. Und noch immer würden die meisten, müssten sie sich entscheiden, für immer im Homeoffice bleiben – Stimmungsdown inklusive. Sieht so das Büro der Zukunft aus? Wohl kaum. Und so kommen wir an einer hybriden Arbeitswelt wohl nicht vorbei. Gar nicht so verkehrt. Erstaunlich, dass erst eine Pandemie die lang ersehnte höhere Flexibilität in der Arbeitswelt vorantreiben konnte. So manche Veränderung kommt eben erst durch etwas Druck in (Wellen-)Bewegung.
Jetzt Video zur Studie ansehen!
Philipp Riedel, Geschäftsführer von AVANTGARDE Experts, hat die wichtigsten Ergebnisse der Corona-Studie für Dich in einer dreiteiligen Videoserie zusammengefasst - erfahre jetzt von ihm persönlich, was den Menschen in der Krise besonders wichtig geworden ist.
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